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Youth Exchange – Von Deutschland, über Frankreich, nach Griechenland

22.04.201710 Griechen, 10 Franzosen und 10 Deutsche für 10 Tage unter einem Dach. Junge Erwachsene treffen sich für einen Austausch bei dem nicht nur die besten Moussaka-, Kartoffelsalat- und Macaron-Rezepte ausgetauscht werden.

Das erste Treffen hat bereits im Sommer 2016 in Berlin stattgefunden. Im französischen Calais kam es erst kürzlich, im April 2017, zur zweiten Begegnung. Das dritte Treffen ist im September 2017 in Thessaloniki geplant.

Grund für den Youth Exchange ist, dass die jungen Menschen die Gelegenheit bekommen sollen, über ein Thema zu sprechen, dass ihnen allen am Herzen liegt. Es geht um die Situation all derer, die in den letzten Jahren aus ihrem Land fliehen mussten und seitdem ruhelos sind. Es geht darum, wie die einzelnen Länder diese Menschen aufnehmen und auch darum, wie jeder Einzelne von uns helfen kann. Die deutschen Teilnehmer berichten von ihren Erlebnissen im Norden Frankreichs.

Direkt bei der Ankunft haben wir uns schön beliebt gemacht, indem wir das Klischee des pünktlichen Deutschen voll auslebten.
Geplante Ankunft: 18.30 Uhr. Tatsächliche Ankunft:18.30 Uhr.
Übrigens änderten wir das auch nicht während der gesamten Fahrt. Allerdings nehmen wir uns in Zukunft vor, ein Mittelmaß zwischen der entspannten Art der griechischen und französischen Delegation sowie unserer vergleichsweise strengen und straffen Art zu finden.

Straff war auch unser Programm. Die ersten Tage standen im Zeichen des theoretischen Austausches und der Vorbereitung. Am fünften Tag war nämlich die erste Field Activity geplant, das heißt wir würden an verschiedenen Stellen ehrenamtliche Arbeit für und mit den geflüchteten Menschen leisten dürfen. Doch eins nach dem anderen.
Unsere Vorbereitung bestand aus Vorträgen von Vertretern verschiedener Organisationen wie dem Roten Kreuz. Es ging auch darum, dass wir uns als Gruppe fanden und zu vertrauen lernten, um bei den Field Activities effizient und sicher arbeiten zu können. Vor allem die französische Delegation spielte in der Vorbereitung eine wichtige Rolle. Die Meisten von ihnen arbeiteten schon seit Monaten mit Flüchtlingen zusammen und konnten uns die genauen Umstände an unseren Einsatzorten beschreiben. Calais bedeutete deutlich mehr praktische Erfahrungen im Vergleich zu Berlin, wo für die Teilnehmer des Austausches aufgrund strikter politischer Regelungen kaum eine kurzfristige, spontane Partizipation als Volontär möglich war.

Doch die Situation in Calais ist auch eine brenzlige. Viele verbinden die Stadt noch immer mit dem sogenannten „Dschungel“ . Die Bezeichnung steht für ein Camp in dem mehr als 9.000 Migranten bis zur Räumung im Oktober 2016 gelebt und sich sogar eigene Betriebe wie Geschäfte, Cafés und Friseursalons aufgebaut haben. Gleichzeitig schreibt z.B. die „Zeit“, dass dieses Camp „wie kein zweites in Europa die Unfähigkeit der EU [symbolisiert], Flüchtlinge schnell und sicher zu versorgen und auf die einzelnen Mitgliedsländer aufzuteilen“.  Mittlerweile haben sich viele kleine Camps gebildet und die Menschen leben noch immer auf der Straße.
Die Bezeichnung des Camps als „Dschungel“ missfiel vor allem vielen Franzosen unseres Austausches, die sich schon viel mit dem Camp beschäftigt haben und teilweise auch selbst vor Ort waren. Sie finden es herabwürdigend und vermeiden gleichzeitig auch stigmatisierende Begriffe wie „Flüchtlinge“. Es ist ihnen wichtig, dass das Bewusstsein dafür nicht verloren geht, dass das alles Menschen sind mit Eigenschaften, Stärken und Macken. Dingen, die sie besser charakterisieren als ihre Flucht.
Für uns war es sehr spannend, von ihren Eindrücken lernen zu dürfen.

In der Nacht vor unserer ersten Field Activity ist ein Camp in Grand-Synthe, nach einem eskalierten Streit unter Bewohnern, komplett nieder gebrannt und damit der Unterschlupf von rund 1.500 Menschen. In den darauffolgenden Tagen konnten 500 Menschen in Turnhallen untergebracht werden, der Rest jedoch verteilte sich in der Umgebung im Freien. Die Regierung gab zudem schnell bekannt, dass sie einen Wiederaufbau nicht unterstützen würden.
Diese Nachricht löste in uns Betroffenheit aus. Ein wirkliches Gefühl für die Bedeutung dieser Nachricht bekamen wir jedoch erst in den nächsten Tagen.
Es war nicht nur, dass mehr Essenspakete gefüllt und mehr Emergency Bags sortiert werden mussten, es war vor allem der persönliche Kontakt mit Betroffenen. Ob ein gemeinsames Kochen, Fußball spielen oder am Strand spazieren – am Ende des Tages war es ein unangenehmes Gefühl wieder in das Hostel zurück zu kehren. Denn währenddessen würden die Leute mit denen man eben so viel Spaß gehabt hatte, auf der Straße schlafen müssen. Schnell schämten wir uns für unsere Beschwerden über ausschließlich süßes Frühstück oder langsam warm werdendes Duschwasser. Wir haben an Demut und neuer Wertschätzung gewonnen, gleichzeitig wurden Vorurteile immer mehr ausgeräumt, die sich teilweise doch irgendwo in uns verankert hatten. Das wachsende Vertrauen der Migranten hat uns mit Freude erfüllt und gleichzeitig noch trauriger gemacht. Es fühlte sich zwar gut an, sich nützlich zu machen, doch am Ende des Tages blieb da eine gewisse Hilflosigkeit.

Bemerkenswert ist auch die Motivation der freiwilligen Helfer, beispielsweise im L'Auberge des Migrants. Stundenlang arbeiten sie gewissenhaft und schnell monotone Aufgaben ab. Die Leiter gestalten die Arbeit zudem so angenehm wie möglich. Motivierende “Schlachtrufe“ gehören ebenso zur Tagesordnung, wie antreibende Musik und sehr leckeres Essen. Wir sind Menschen aus aller Welt begegnet, die extra nach Calais gekommen sind um zu helfen. Menschen aus Amerika, der Schweiz, Deutschland und vor allem Großbritannien, die ihre Urlaubstage für die Freiwilligenarbeit nutzen. Dabei gab es keine Altersgrenze, auch eine 70-jährige Britin schwang tapfer den Kochlöffel.
Seitdem sich das Foto des kleinen, blutverschmierten Jungen aus Aleppo medial verbreitete, verzeichnet das L'Auberge des Migrants eine steigende Anzahl von Freiwilligen.
Wir begegneten auch Menschen, die selbst einmal geflohen waren und nun helfen wollten. Einer von ihnen beginnt ein Studium, das ihm später zu einem Job im IT-Bereich verhelfen soll. Es war ein Professor, der ihm und 77 anderen damaligen Bewohnern des „Dschungels“, die Möglichkeit des Studiums eröffnete.

Absurd hingegen fühlte sich die Begegnung mit der Polizei an. Es ist den freiwilligen Helfern außerhalb eines Camps nur gestattet, für einen festgelegten Zeitraum Essen und Kleidung zu verteilen. Die Polizisten positionieren sich einschüchternd und beobachten die Helfer und Migranten. Ist die erlaubte Zeit der Ausgabe vorüber, beginnen sie mit Einschüchterungen und Durchsuchungen. Deshalb war es für uns immer wichtig, unsere Personalausweise dabei zu haben. Ansonsten hätten sie auch uns für 24 Stunden in Untersuchungshaft mitgenommen.
Gemeinsam mit den Migranten gelacht und gegessen zu haben, doch gleichzeitig wie im Zoo beobachtet zu werden, fühlte sich merkwürdig an. Nach einer Stunde fühlten wir uns schon wie Zootiere und das obwohl die abfälligsten Blicke und forschesten Töne nicht uns galten.

Zurück im Hostel konnten wir uns über solche Eindrücke in der großen Gruppe austauschen. Nach jedem Tag eröffneten unsere Gruppenleiter in der Cafeteria des Hostels eine Reflektionsrunde, das sogenannte „Café Miroir“.
Genauso wichtig waren uns aber Inseln der Ruhe. Nur 15 Minuten Fußweg von unserem Hostel entfernt erstreckte sich ein Strand, an dem wir uns mit einer Gitarre und Getränken versammelten. Glücklicherweise fand zum Zeitpunkt unseres Aufenthaltes ein Kite-Festival statt, das mit einem großen Feuerwerk eröffnet wurde. Auch wir ließen Drachen steigen. Zugegeben, dazu brauchten wir einige klägliche Versuche.
An sehr kalten Abenden blieben wir in unserer Unterkunft. Es gab einen Spieleabend, die Griechen brachten uns bei, wie man Sirtaki tanzt und am Morgen darauf sorgte die deutsche Delegation dafür, dass es ein schönes Frühstück mit dunklem Brot und einer großer Käseauswahl gab.

Am Tag der Abreise standen einigen die Tränen in den Augen. Jason (20), aus der griechischen Delegation, hatte am Anfang der Woche über die Zeit in Berlin geschwärmt.  Sie gehöre zu den besten seines Lebens: „Sogar meiner Mutter ist aufgefallen, dass ich mich verändert hatte“.
Auch nach der Begegnung in Frankreich dürften Jasons Mutter einige Veränderungen auffallen.
Wir empfinden die Tage in Calais jedenfalls als sehr prägend und freuen uns auch über Freundschaften, die sich vertiefen konnten. Wir haben gut als Gruppe funktioniert und trotz der ernsten Thematik eine Menge Spaß gehabt. Gleichzeitig wollen wir uns nun auch in Deutschland mehr engagieren, denn man kann überall helfen. Das eigentliche Problem ist der eigene Schweinehund.
Wir sind gespannt auf Thessaloniki und freuen uns jetzt schon auf das Wiedersehen. Am liebsten wären wir ja gleich mit den Griechen mitgekommen...